Logbucheintrag 4409, Tag 5 der Expedition: Die Arktis im Winter ist kein Ort, sie ist ein Gefühl. Es ist eine Stille, so tief, dass man das Knacken des Eises meilenweit hören kann. Als Kapitän der MS Aurora habe ich viele Meere befahren, aber nichts ist vergleichbar mit der Herausforderung und der Schönheit der Navigation jenseits des 80. Breitengrades im Winter. Unsere Mission auf dieser 12-tägigen Reise ist nicht nur, die Fjorde Norwegens zu sehen, sondern die Aurora Borealis zu "jagen".
Die Gäste fragen mich oft: "Kapitän, werden wir sie sehen?" Ich antworte immer gleich: "Die Arktis verspricht nichts, aber sie belohnt die Geduldigen." Unsere Tage sind kurz, gefüllt mit einem blauen, fast unwirklichen Licht. Wir verbringen sie mit Zodiac-Exkursionen entlang von Gletscherfronten, die wie gefrorene Tsunamis aussehen. Die Kälte ist beißend, aber die Luft ist rein.
Die Herausforderung des Eises
Gestern, um 04:00 Uhr, meldete der Eisradar eine dichte Packeis-Presse voraus. Für ein normales Schiff wäre dies das Signal zur Umkehr. Für die MS Aurora, mit ihrer PC6-Eisklasse, ist es eine Einladung. Es ist ein langsamer, knirschender Tanz. Das Schiff zittert, wenn der Rumpf massive Schollen bricht. Es ist ein Geräusch, das Ehrfurcht einflößt. Auf der Brücke herrscht konzentrierte Stille. Wir navigieren nicht nach Karten, sondern nach Sicht und Radarbildern. Jeder Offizier ist hochkonzentriert. Unser Ziel ist eine kleine, geschützte Bucht, von der wir wissen, dass sie oft von Eisbären besucht wird.
Und die Geduld zahlte sich aus. Gegen 14:00 Uhr sichtete unser Erster Offizier Bewegung. Ein ausgewachsener Eisbär, majestätisch und gleichgültig, wanderte über das Eis. Wir stoppten die Maschinen. Eine Stunde lang beobachteten wir ihn in absoluter Stille. Solche Momente sind der wahre Luxus dieser Reisen – unvorhersehbar und unbezahlbar.
"Die Arktis verspricht nichts, aber sie belohnt die Geduldigen."
Das grüne Feuer
Aber die wahre Magie wartete bis zur Nacht. Die Wettervorhersage war perfekt: klare Sicht, hohe Sonnenwindaktivität. Gegen 22:00 Uhr begann es. Zuerst nur ein vager, grauer Schleier, den man leicht für eine Wolke halten könnte. Doch dann explodierte der Himmel.
Ich habe das Nordlicht Dutzende Male gesehen, aber es verliert nie seine Macht. Smaragdgrüne Bänder, die sich mit violetten Säulen vermischten, tanzten direkt über uns. Sie bewegten sich schnell, wie Vorhänge im Wind. Von der Brücke aus sah ich die Silhouetten unserer Gäste auf dem Vordeck. Niemand sprach. Man hörte nur das leise Klicken der Kameras. Das Schiff trieb langsam im Fjord, umgeben von Eisbergen, die im grünen Licht unheimlich leuchteten. Es ist ein demütigender Anblick, der einem klarmacht, wie klein wir sind und wie gewaltig die Natur ist. Das ist es, was wir jagen. Nicht nur ein Lichtphänomen, sondern das Gefühl, am Rande der Welt zu stehen.
Logbuch Ende.